Call for Papers: Die Polyzentrik der Spätantike – Abschlusstagung des Leibnizpreisprojektes „Die Polyphonie des spätantiken Christentums“

(Prof. Dr. Hartmut Leppin)

11.-13. Oktober 2023, Goethe-Universität Frankfurt am Main

In der Spätantike entwickelt sich Konstantinopel zur unbestrittenen Hauptstadt des Oströmischen Reiches, die immer mehr Zentrumsfunktionen für das gewann, was vom Römischen Reich blieb (Pfeilschifter 2013). Zugleich lassen sich zahlreich dezentrierende Tendenzen beobachten. Viele Römer waren sich bewusst, dass das Römische Reich ohnehin allenfalls ein Auge der Welt war und das Perserreich ein zweites (Canepa 2009). Überdies bildeten sich in Gebieten des Westens, die der kaiserlichen Kontrolle entzogen waren, neue Zentren (Meier 2021), bisweilen Zentren einer lokalen Romanitas (Brown 2012), wie etwa die Blüte der höfischen lateinischen Dichtung im Vandalenreich zeigt.

Neben den politisch definierten Zentren bestand im römischen Mediterraneum ein Netzwerk kirchlicher Zentren, der sogenannten Patriarchate, die sich im 5. Jahrhundert etabliert hatten. Die Patriarchate Alexandria, Antiochia und Rom galten schon früh als Zentren der Christen. Daneben gewann Konstantinopel seit dem 4. Jahrhundert an kirchenpolitischer Bedeutung, doch immer blieb Rom das wichtigste kirchliche Zentrum, auch in Zeiten größter politischer Schwäche (Kötter 2013). Die Rivalität zwischen der Provinzhauptstadt Caesarea und dem unter religiösen Gesichtspunkten herausragenden Jerusalem ist ein weiteres Beispiel für die Aushandlung des Verhältnisses verschiedener Zentrumsfunktionen. Mit dem Pilgerwesen und dem Auftreten hochangesehener Heiliger wie etwa den beiden Styliten namens Symeon entstanden für eine gewisse Zeit neue Zentren (Parker 2022). Zudem bildeten häretisierte Gruppen wie die Kirche des Ostens ganz eigene Zentren aus. Der Kaukasus stand einerseits in Abhängigkeit von den großen Reichen und war andererseits an eigenen Zentren orientiert (Dorfmann-Lazarev 2022). Für Juden des gesamten Mediterraneums war Babylon ein Zentrum, das im Sasanidenreich lag.

Noch anders strukturierte sich das Netzwerk intellektueller Zentren. Hier spielte die Hochschule von Konstantinopel eine wichtige Rolle, doch auch Beirut bildete ein Zentrum der juristischen Ausbildung, das einem Mann wie Libanios die Furcht einjagte, Antiochia könne an Bedeutung verlieren (van Hoof 2014). Unbestreitbar ist, dass Athen und Alexandria Zentren der Philosophie blieben. Während die eine Stadt kaum mehr als ein Bildungszentrum war, war die andere auch ein kirchliches Zentrum und besaß große politische und administrative Bedeutung. Einzelne Personen wie Jakob von Sarug (Forness 2018) oder Augustin konnten aufgrund ihrer Korrespondenz gleichsam als Individuen zu Zentren (Preuß 2022) werden. Mit der arabischen Expansion traten völlig neue Zentren hervor (Berger 2016).

Alexandria besaß in Hinblick auf Nubien und Äthiopien eine Zentrumsfunktion, die über die Grenzen des Römischen Reiches hinauswies. Das hatte es etwa mit Jerusalem gemein, aber auch mit Edessa, einem Zentrum syrophoner Christen, das aus römischer Sicht ein Ort der Peripherie war (Ansätze bei Leppin 2021). Dies zeigt auch, welche Bedeutung die Multilingualität des Römischen Reiches für die Polyzentrik hat. Die Vielzahl der Orte, die als Zentrum gelten konnten, die Vielfalt der Zentrumsfunktionen, der grenzüberschreitende Charakter einiger Zentren verdeutlichen, wie komplex das Thema ist. Die Tagung soll die Diskussion über diese Fragen voranbringen und einschlägig Forschende in näheren Kontakt bringen.

Key notes werden von Felix Maier (Zürich), Phil Forness (Löwen) und Igor Dorfmann-Lazarev (London) vorgetragen.

Dem Call liegt ein weites Verständnis von Spätantike zugrunde (4.-7. Jh.). Erbeten sind Beiträge zu einzelnen Zentren oder zu deren Vergleich, aber auch theoretisch inspirierte Überlegungen zur Zentrumsbildung und zu Praktiken, aufgrund derer Zentren anerkannt werden konnten. Eingeladen zum Call for papers sind fortgeschrittene Promovierende und Postdocs aus Fächern wie Geschichte, Klassische Philologie, Archäologie, Theologie, Judaistik, Syrologie, Koptologie, Kaukasiologie, Iranistik, Islamische Studien und verwandter Gebiete. Die Beiträge sollten höchsten 25 Minuten dauern, um breiten Raum für Diskussionen zu geben. Die Konferenzsprache ist Englisch. Kosten für die Übernachtung und die Anreise können erstattet werden.

Bewusst ist keine Publikation geplant. Daher können auch Vorarbeiten für größere Bücher präsentiert werden, es kann aber auch gerne experimentiert und out of the box gedacht werden.

Bewerbungen können mit Abstract (250 Worte) und CV (eine Seite) bis zum 15. April 2023 an Marius Kalfelis (kalfelis(at)em.uni-frankfurt.de) gesendet werden.

 

  • Lutz Berger, Die Entstehung des Islam. Die ersten hundert Jahre, München 2016.
  • Peter Brown, Through the Eye of a Needle. Wealth, the Fall of Rome and the Making of Christianity in the West, 350-550 AD, Princeton / Oxford 2012.
  • Matthew P. Canepa, The Two Eyes of the Earth: Art and Ritual of Kingship between Rome and Sasanian Iran (The Transformation of the Classical Heritage 45), Berkeley u.a. 2009.
  • Igor Dorfmann-Lazarev (ed.), Sharing Myths, Texts, and Sanctuaries in South Caucasus (Studies in Early Christian Apocrypha 19), Leuven 2022.
  • Philip Forness, Preaching Christology in the Roman Near East: A Study of Jacob of Serugh, Oxford 2018.
  • Lieve van Hoof, Libanius: A Critical Introduction, Cambridge, New York 2014.
  • Jan-Markus Kötter, Zwischen Kaiser und Aposteln. Das Akakianische Schisma (484–519) als kirchlicher Ordnungskonflikt der Spätantike (Roma Æterna 2), Stuttgart 2013.
  • Hartmut Leppin, Creating a City of Believers – Rabbula of Edessa, in A. Lätzer-Lasar / E. R. Urciuoli (Hg.), Urban Religion in Late Antiquity, Berlin 2021, 185-204.
  • Mischa Meier, Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr., 7. Aufl. München 2021.
  • Lucy Parker, Symeon Stylites the Younger and Late Antique Antioch. From Hagiography to History, Oxford 2022.
  • Rene Pfeilschifter, Der Kaiser und Konstantinopel. Kommunikation und Konfliktaustrag in einer spätantiken Metropole (= Millennium-Studien. Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 44), Berlin u. a. 2013.
  • Kai Preuß, Säkularität und Pastoral. Geschichte, Macht, Subjekt, Berlin/Boston 2022. 
  • Victor Turner, The Center out There: Pilgrim’s Goal, History of Religion 12 (1973), 191-230.
Kelch mit Personifikationen von Zypern, Rom, Konstantinopel und Alexandria (Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr.: 17.190.1710)

Kelch mit Personifikationen von Zypern, Rom, Konstantinopel und Alexandria (Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr.: 17.190.1710)

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Kelch mit Personifikationen von Zypern, Rom, Konstantinopel und Alexandria (Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr.: 17.190.1710)

Bewerbungen können mit Abstract (250 Worte) und CV (eine Seite) bis zum 15. April 2023 an Marius Kalfelis (kalfelis(at)em.uni-frankfurt.de) gesendet werden.

Call for Papers (PDF_deutsch)

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