Kreuzzugsdebatten auf den allgemeinen Konzilien des 15. Jahrhunderts
Das mediävistische Dissertationsprojekt befasst sich mit einem Themenfeld, das in der jüngeren Literatur zur Kreuzzugspolitik und -idee im 15. Jahrhundert als Desiderat erkannt worden ist: Den im Zuge der Kreuzzugsbemühungen verschiedener Akteure geführten öffentlichen Debatten und deren gelehrten Protagonisten. Dabei soll die reichhaltige deutschsprachige Literatur zu den konziliaren Reformbewegungen und -diskursen jener Zeit ins Gespräch mit neueren Ansätzen in der englischsprachigen Kreuzzugsforschung gebracht werden. Für das Forschungsprogramm des Graduiertenkollegs 2304 „Byzanz und die euromediterranen Kriegskulturen“ ist diese Thematik von offenkundigem Interesse: Die Kreuzzugsbewegung des 15. Jahrhunderts war sowohl in ihren ideellen Grundlagen als auch in ihren tagespolitischen Konkretionen mit Fragen nach der Bedeutung Byzanz' für die Christenheit und nach dem Verhältnis von West- und Ostkirche verflochten. Besonders für das Forschungsfeld B des Kollegs, das nach den Deutungskonzepten von Kriegen fragt, verspricht die anvisierte kommunikationsgeschichtliche Untersuchung der gelehrten Kreuzzugsdiskussion eine fruchtbare Auseinandersetzung. Zu dem Themenbereich „Rechtfertigungs-und Begründungsstrategien“ kann das Projekt mit einem vertieften Verständnis sowohl der Bedeutung der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Byzanz und den Osmanen als auch derjenigen von Legitimationsdiskursen, wie dem Gedanken der translatio imperii, für das Entstehen einer neuen, oft polemisch geführten Auseinandersetzung mit der Kreuzzugsidee beitragen. Auch der im Untersuchungszeitraum hervortretende innovative Wandel der politischen Öffentlichkeit im lateinischen Westen soll so durch neue Aspekte stärker beleuchtet werden. In diesem Sinne bietet das mediävistische Projekt die Chance, die im interdisziplinären Kontext zu erarbeitenden „euromediterranen Kriegskulturen“ auf konkrete historische Beispiele zu beziehen.
In den letzten Jahrzehnten konnte sich in der historischen Mediävistik ein neues Interesse an der Geschichte der spätmittelalterlichen Kreuzzugsbewegung etablieren. Dabei widmen sich zahlreiche jüngere Publikationen dem 15. Jahrhundert, in dem sich der Fokus der Kreuzzugsbestrebungen auf eine Bekämpfung der Hussiten und des nach Europa vordringenden Osmanischen Reiches verlagerte. Mit diesen Veröffentlichungen tritt die engere Kreuzzugsforschung in den Dialog mit einer schon länger bestehenden Forschungslandschaft, die sich etwa mit der Wahrnehmung der Osmanen als kulturellem Feindbild und der Rezeption der Kreuzzüge im Humanismus, insbesondere nach der Eroberung von Konstantinopel 1453, beschäftigt. Dabei zeichnet sich im Einklang mit allgemeinen Entwicklungen in der Spätmittelalterforschung die Tendenz ab, den innovativen Charakter der spätmittelalterlichen Kreuzzugspläne, -bemühungen und -organisation unter gewandelten Umständen herauszustreichen, anstatt diese im Sinne eines teleologischen Verfallsmodells als Relikt einer vergangenen hochmittelalterlichen Blütezeit zu betrachten. Norman Housley hat darauf hingewiesen, dass wegen jenem Verfallsmodell die Forschung sich nicht angemessen mit der öffentlichen Diskussion der Kreuzzugsproblematik sowie mit deren Protagonisten und ihrer akademischen Ausbildung, ihrer Diskursmodi und Argumente zu spezifischen lokalen Anlässen beschäftigt habe. Um diesem Desiderat Abhilfe zu schaffen, soll Housleys produktiver Hinweis auf die Relevanz der Arbeiten Daniel Hobbins' zur intellectual history des frühen 15. Jahrhunderts für die Thematik aufgegriffen werden. Dieser konstatiert für diesen Zeitraum eine Entwicklung mittelalterlicher Gelehrter hin zur Rolle von public intellectuals mit einem breiten Publikum noch vor der Erfindung des Buchdruckes. Die Implikationen dieser wissensgeschichtlichen Transformationen hin zu einem information age für die Dissemination des Kreuzzugsgedankens im Europa des 15. Jahrhunderts gilt es in dem geplantem Promotionsprojekt umfangreich zu erörtern. Aus mehreren Gründen eignen sich für eine solche Untersuchung die beiden großen ökumenischen Konzilien von Konstanz (1414–18) und Basel (1431–49) als sinnvoller Fokus. Zum einen kann für beide Großereignisse auf editorisch gut erschlossenes, aber inhaltlich noch keinesfalls ausgeschöpftes Quellenmaterial zurückgegriffen werden, das als „Konzilsakten“ gesammelt vorliegt. Die Sammlung enthält Beschlüsse, Briefe, Rechnungen, chronikalische Notizen und vieles mehr. Sie ermöglicht so detaillierte Einblicke in die Denkweise verschiedener Konzilsteilnehmer und deren Kommunikation untereinander –mithin in die Konzilien als Kommunikationsereignisse. Hier wird das Projekt an eine umfangreiche kommunikationsgeschichtliche Forschungstradition anschließen. Zum anderen konzentriert sich ein Großteil der bestehenden Forschung zum Kreuzzugsgedanken im 15. Jahrhundert auf die Zeit nach 1453 und die weltlichen Reichsversammlungen. Auf diese Literatur kann vergleichend Bezug genommen werden, um auch eventuelle kommunikative und diskursive Transformationen sichtbar zu machen. So kann die Erforschung der Kreuzzugsdiskussion und ihr Verhältnis zur politischen Öffentlichkeit des 15. Jahrhunderts einen lohnenswerten Beitrag zur Erhellung der euromediterranen Kriegskulturen an der Schwelle zu einem epochalen Umbruch der gemeinsamen Geschichte von Byzanz und dem lateinischen Westen leisten.
Betreuung:
Förderung:
DFG (GRK 2304)