Die Wurzeln des Pilgerwesens im Nordwesten des Römischen Reiches (Teil 1)

Die vielfältigen religiösen Beweggründe zu reisen reichten während der Römerzeit von persönlichem Heil bis hin zu staatlichem Kult. Heiligtümer als Ziel von Reisenden werden innerhalb eines Systems von Landschaft und Gesellschaft neu kontextualisiert sowie regionale Besonderheiten und Gemeinsamkeiten innerhalb der Nordwest-Provinzen erfasst.

Die Existenz eines römischen Pilgerwesens nördlich der Alpen ist in der Forschung umstritten. Vermutlich besaß religiös motiviertes Reisen in den Nordwest-Provinzen jedoch einen wesentlichen Stellenwert, der hingegen noch kaum zusammenfassend untersucht wurde. Die Studie widmet sich dem religiös angeregten Reisen in den Nordwest-Provinzen auf Basis der umfangreichen Literatur zu Heiligtümern und ihrem Umfeld sowie Weihungen. Ausgewertet werden damit neben archäologischen auch epigraphisch-historische Quellen. Die gallischen sowie germanischen Provinzen des Römischen Reiches stehen hierbei besonders im Fokus. Neben einem Schwerpunkt bei der römischen Zeit werden Entwicklungslinien von der keltischen Zeit bis zum Beginn des frühen Mittelalters betrachtet.

Religiöse Anreize zu reisen lassen sich schwer von wirtschaftlichen, politischen oder sozialen Gründen trennen. Diese Schwierigkeit liegt unter anderem daran, dass der heute häufig empfundene Gegensatz von profan und sakral sich in der betrachteten vorchristlichen Zeit nicht in dieser Deutlichkeit findet. Die – dessen ungeachtet existenten – religiösen Beweggründe zu reisen reichten vom persönlichen Heil bis hin zu staatlichem Kult. Untersucht wird, ob die Heiligtümer spezifischer Götter Ziel von religiös motivierten Reisen waren. Nahm man für bestimmte Götter einen besonders weiten Weg auf sich? Welche Rolle spielte außerdem der Kult gegenüber beispielsweise dem Kaiser und den Verstorbenen? Unter welchen Umständen gibt es religiös-kultisch motiviertes Reisen auf provinzübergreifender Ebene und wann findet eine räumlich begrenzte, lokale Verehrung mit einer kurzen Reise zum Heiligtum statt? Die verschiedenen Verortungen wichtiger Heiligtümer zu Landschaft, Infrastruktur und Besiedlung werden überprüft. Dabei spielt auch eine Charakterisierung des näheren Umfelds der Tempel mit beispielsweise Straßen, Plätzen, Theatern, Thermen und Herbergen eine wichtige Rolle (vgl. zu letzteren das Forschungsvorhaben von Anna Kieburg).

Mit Erscheinen und Rückzug der Weltmacht Rom lassen sich zahlreiche Veränderungen jedoch auch Kontinuitäten bezüglich der Sakrallandschaft und der Pilgerströme fassen. Diese Prozesse werden über die Zeiten und Räume hinweg näher beschrieben. Zahlreiche regionale Besonderheiten sowie Gemeinsamkeiten innerhalb der Nordwest-Provinzen werden zusammengestellt um diese anschließend mit anderen im Gesamtprojekt analysierten Regionen im östlichen Mittelmeeraum zu vergleichen (vgl. unter anderem die Untersuchungen von Ina Eichner und Vlastimil Drbal).