Hagiographie und Heiligenkult. Entstehung, Rezeption und Transfer zwischen Ost und West

Im Mittelpunkt der Dissertation stehen als Heilige verehrte Frauen und Männer (Märtyrer/innen, Apostel, Bischöfe, Mönche) aus dem Westen und dem Osten, wobei insbesondere der Transfer ihrer Verehrung untersucht werden soll.

Im Raum der spätantiken und frühmittelalterlichen christlichen Oikumene fanden ein gedanklicher Austausch und die Rezeption theologischer Entwürfe überwiegend einseitig vom Osten in Richtung Westen statt. Die Forschung erklärt dies bislang vor allem mit der Vorrangstellung der griechischen Theologie und der Überlegenheit der hellenistischen Kultur, die u.a. dazu führte, dass weitaus mehr griechische Schriften ins Lateinische übersetzt wurden als umgekehrt. Dieses konstatierte Beziehungsgefälle soll nun anhand eines bisher unter diesem Aspekt kaum beachteten Forschungsfeldes, der hagiographischen Literatur und entsprechender materieller Zeugnisse, vertieft analysiert werden.

Nach einer philologischen und interpretierenden Auswertung der jeweils vorhandenen schriftlichen Zeugnisse (insbes. Viten und Passiones) und ihrer zeitnahen Übersetzungen in andere Sprachen ist nach den Bedingungen der Entstehung des jeweiligen Kultes und seiner Entfaltung zu fragen, beispielsweise nach Kirchenpatrozinien, Aufnahme in Festkalender und Martyrologien, liturgischem Gedächtnis, Reliquientranslationen und weiteren Formen der Volksfrömmigkeit. Der Fokus richtet sich dabei auf neue Akzente (bzw. Auslassungen) in der Verehrung, die keineswegs nur der fortschreitenden Zeit, sondern auch einer jeweils neuen räumlichen Umgebung, beispielsweise dem Wechsel von einem Reichsteil in den anderen, geschuldet sein können.

Ziel der Untersuchung soll es primär sein, Merkmale und Bedingungen des Transfers der Verehrung von Heiligen von Ost nach West und von West nach Ost zu beschreiben. Dabei ist vor allem die Richtungsumkehr aus dem von „Barbaren“ bedrohten und im Niedergang begriffenen Westen in den (vermeintlich) theologisch überlegenen Osten mit den vier Patriarchaten und den Heiligen Stätten ungewöhnlich und deshalb einer genaueren Untersuchung wert. Zu erwarten sind nicht nur weitergehende Informationen über Mechanismen und Ursachen verschiedener Rezeptionsprozesse, sondern auch Erkenntnisse über die wechselseitige Wahrnehmung und Bewertung von östlicher und westlicher Theologie und die jeweilige Bedeutung der Volksfrömmigkeit. Schließlich ist der Anteil des Einflusses politischer und soziokultureller Gegebenheiten auf diese Prozesse zu ermitteln.

Betreuung der Dissertation: Prof. Dr. Heike Grieser, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Förderung

Promotionsstipendium des Leibniz-WissenschaftsCampus Mainz

Publications

  • M. Matheus / K. Reihl / A. Gietzen / M. Salzmann, Religiöse Kontakte in Europa. Byzanz, der Westen und die slavische Welt, in: Antike Welt 4 (2018) 17-23.