Die ‚Kriegshistoriographie‘ des Orosius – Geschichtsschreibung aus christlich-apologetischer Perspektive

Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen und zeitweiligen Unterstützer Augustinus von Hippo ist der nordportugiesische Presbyter Orosius mit seinen Werken heute kaum bekannt. Das war im Mittelalter anders: Vor allem sein Geschichtswerk, die Historiae adversum paganos libri VII (verfasst um 415/17) galten damals als eines der Standardgeschichtswerke, was unter anderem anhand der damaligen Rezeption (z.B. Beda Venerabilis, Isidor von Sevilla, Otto von Freising) oder der Handschriftenlage sichtbar wird. In seinem Werk nimmt der Autor sich der gesamten Menschheitsgeschichte an, buchstäblich ab Adam und Eva bis in seine eigene Zeit hinein, und stellt verschiedenste Überlieferungen und Quellen – wozu unter anderem das Alte Testament sowie die griechisch-römische Mythologie oder (vor-)christliche Geschichtsschreibung zählen – zu einem einheitlich fortlaufenden Geschichtsstrang zusammen. Durch ihn entsteht damit, wenn man so will, die erste Universalgeschichte der Menschheit.

Was jedoch vor allem für den historischen Charakter des Werkes problematisch ist: Orosius will mit seiner Geschichtsschrift ein apologetisches Ziel verwirklichen. Betrachtet man den zeitlichen Kontext, in dem das Geschichtswerk entsteht, wird verständlich, warum dem Autor nicht an einer neutralen oder ‚wissenschaftlichen‘ Zusammenstellung historischer Fakten gelegen sein konnte. Er schreibt seine Historien in der Umbruchszeit, während des sich allmählich abzeichnenden Untergangs des Weströmischen Reiches. Der Einfall der Goten in Rom unter Alarich 410 hatte sich jüngst ereignet, was umso ungünstiger für das Christentum war, das kurz zuvor die offizielle Staatsreligion geworden und somit an die Stelle des altbewährten römischen Götterkultes getreten war. Ziel des Orosius ist es daher, zu zeigen, dass diese Missstände nicht in die Verantwortung des erstarkten christlichen Einflusses gestellt werden können. Vor diesem Hintergrund ist sein Geschichtswerk selbstverständlich kritisch zu lesen. Die Konsequenz ist häufig ein sehr negatives Urteil über den christlichen Verfasser, da ihm tendenziöse und verfälschende Darstellungsweisen zugesprochen werden – Absichten, die gegen seine historische Glaubwürdigkeit sprechen. Durch seine theologisch motivierte Ausgangsposition scheint der historische Standpunkt des Werkes und so auch tiefergehende Untersuchungen dazu verlorenzugehen. Das Urteil der modernen Orosius-Rezipienten fällt dadurch insgesamt eher einseitig aus.

Das Dissertationsprojekt möchte die Arbeit dieses Geschichtsschreibers und Theologen unter einem ganz bestimmten Fokus, dem des Krieges, eingehender untersuchen und dadurch zu einer umfassenderen Wahrnehmung und Beurteilung des Werkes samt seiner Konzeption und Bedeutung in der heutigen Forschung beitragen. Das Thema ‚Krieg‘ erhält für das Werk, veranlasst durch seine Zielsetzung, einen auffallenden Stellenwert. Indem alle bisher dokumentierten Kriege, sowie alle Gewalt und Übel vom Sündenfall an in einer schier endlos anmutenden Kette aneinandergereiht werden – die erst die Inkarnation Christi durchbricht –, wird die Apologetik von Orosius durch eine bestimmte Zusammenstellung des historischen Stoffes umgesetzt. Besonders interessant erscheint hier die Frage, wie der Übergang der vorchristlichen (Kriegs-)Zeiten hin zu den christlichen gestaltet wird, um einerseits keinen offensichtlichen Bruch in der Art und Weise der Berichterstattung hervorzurufen, andererseits dennoch die christlichen Kriege von den nichtchristlichen zu unterscheiden – oder mit anderen Worten: um den Anspruch authentischer Geschichtsschreibung mit der theologischen Intention des Werkes zu vereinbaren.

 

Betreuung:

Prof. Dr. Heike Grieser

Prof. Dr. Ludger Körntgen

Unterstützung

DFG (GRK 2304)