Eine regionale Studie über die Christianisierung Kretas. Insularität und religiöser Wandel

Die Ausbreitung des Christentums in der Spätantike ist ein zentraler Prozess im gesamten Mittelmeerraum. Verschiedene Bedingungen beeinflussten die Geschwindigkeit sowie den Grad der Christianisierung. Eine wesentliche Bedingung war die geographische Lage, wenn z.B. die betrachtete Region eine Insel ist. Dies ist bereits in verschiedenen Studien zu Zypern und Sizilien herausgearbeitet worden, nicht aber in ähnlicher Intensität zu Kreta. Ich gehe im Rahmen meiner Studie davon aus, dass die Insularität eine besondere Rolle für den Prozess der Christianisierung spielte und in den Hafenstädten und Küstenregionen interessante Konstellationen und Unterschiede hervorrief. Der Begriff der Insularität soll jedoch nicht als "isolierter Raum" verstanden werden. Vielmehr ist die Fokussierung auf die Vernetzung der Insel in Verbindung mit jahrhundertealten Seeverbindungen nach Norden, Süden, Osten und Westen eine reizvolle Forschungsperspektive, deren Auswirkungen sich in der materiellen Kultur, in der Veränderung des Stadtbildes und in der Adaption von Kunst und Architektur widerspiegeln.

Die Analyse der theologischen und historischen Quellen bildet den ersten Teil der umfassenden Untersuchung. Dazu gehören unter anderem die Analyse der schriftlichen Zeugnisse über den Apostel Paulus, der vermutlich Kreta besuchte und Ausgangspunkt der Christianisierung war, sowie über den Heiligen Titus, der im 5. und 6. Jahrhundert eine literarische réécriture hagiographique erfuhr und damit ähnlich wie Barnabas auf Zypern fest im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Die Zehn Märtyrer von Kreta, die aus fünf verschiedenen Orten stammten, zeugen bereits in dieser frühen Epoche von einer großflächigen Verbreitung der Glaubensgemeinschaft.

Nach der konstantinischen Wende nahmen kretische Vertreter an Konzilien außerhalb Kretas teil, wie zum Beispiel am Konzil von Serdica im Jahr 343. Hier kommt eine weitere spannende Besonderheit Kretas ins Spiel. Die Insel gehörte seit 395 administrativ zum Oströmischen Reich, war aber kirchlich bis ins 8. Jahrhundert an den Papst in Rom gebunden. Im Hinblick auf die Strategien und Positionen der frühen Kirche Kretas ist allein die Untersuchung, welche Vertreter an welchen Konzilien teilnahmen, äußerst vielversprechend.

Weitere Untersuchungsgegenstände, die den zweiten Teil der Studie bilden, sind alle materiellen Kulturgüter und Bauten, darunter insbesondere die Entwicklung und Entstehung von Kirchen, christlichen Grabanlagen und sonstigen Monumenten und Plätzen. Besonders spannend werden diese Untersuchungen im Kontext des Nebeneinanders verschiedener Religionen sowie der Interaktion mit den traditionellen sakralen Räumen der Insel, wie Tempeln, Höhlen und Gipfeln. Allein für den Zeitraum von 450 bis 600 sind auf Kreta über 80 Kirchen nachgewiesen. Bisherige Forschungen haben sich auf die einzelnen Monumente konzentriert, die in dieser Zeit gebaut wurden. Im Rahmen meiner Forschung soll nun eine ganzheitliche Betrachtung der gesamten kirchlichen Bautätigkeit vorgenommen werden. Ich möchte zeigen, wie Städte und ganze Landschaften und Regionen durch die Ausbreitung des Christentums sich veränderten. Dazu gehören auch die entstehenden Klöster, Pilgerstätten und auch die Gebiete und Wege, entlang derer sich die Christianisierung entwickelte.

Schließlich, wird die Insularitätshypothese anhand des erarbeiteten schriftlichen und materiellen Korpus im Kontext des Christianisierungsprozesses diskutiert. Als Endergebnis soll ein Entwicklungsmodell für die Christianisierungsphasen auf Kreta erarbeitet werden. Insgesamt handelt es sich bei der Arbeit um ein interdisziplinäres Projekt, an dem auch die Fachbereiche Geschichte, Philologie und Theologie beteiligt sind.

 

Betreung der Dissertation: Prof. Dr. Vasiliki Tsamakda, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

 

Unterstützung

Gerda Henkel Stiftung (April 2024-März 2026)