Orbis Romanus? Byzanz und das römische Erbe in der fränkischen Welt (594–1024)

Dieses Forschungsprojekt möchte erstmals auf breiter Basis die Bedeutung des Römischen in der fränkischen Welt nachvollziehen und wendet sich damit den politischen, ideengeschichtlichen und kulturellen Verflechtungen zwischen dem byzantinischen Osten und dem fränkischen Westen zu. Das Byzantinische Reich war eng mit seiner römischen Geschichte und dessen Erbe verbunden, zwei Elemente zu der sich auch die fränkische Welt als zugehörig verstand. Die interdisziplinäre Untersuchung möchte aufzeigen, dass die aus dem Inneren des Römischen Reiches hervorgegangene fränkische Welt über das späte fünfte Jahrhundert hinaus eng mit diesem verknüpft blieb.

Die Studie beschäftigt sich mit dem mittelalterlichen Entfremdungsprozess auf den unterschiedlichen Ebenen der Gesellschaft (Politik, Diplomatie und Reisen, Vergangenheitskonzeption, Sprache, Identität, Religion und Kultur) und bietet dabei eine kritische Diskussion der aktuellen Forschung im Zentrum derer eine Neubewertung der einschlägigen Quellen steht. Hierbei erweisen sich die mit dem Begriff Romanus/Ῥωµαῖος verbundenen Konzeptionen als zentrale Identifikationsfaktoren die sich sowohl im Osten als auch im Westen auf sehr unterschiedliche Bereiche des Lebens beziehen konnten und im Verlaufe des frühen Mittelalters grundlegenden Wandlungsprozessen unterzogen waren.

Die Untersuchung möchte aufzeigen, dass sich die Franken immer auch als Teil der aus der Antike hervorgegangenen imperial-römischen Welt verstanden. Vor diesem Hintergrund begegneten sie den Byzantinern zunehmend auf Augenhöhe, wenn auch mit einem eigenen Verständnis dessen was beide verband. Die Studie möchte damit die immer noch verbreitete Sicht in Frage stellen wonach die Franken als der römischen Welt Fremde in die mediterrane Geschichte eindrangen und damit keinen Anspruch auf eine Teilhabe am antiken römischen Erbe hatten.

Indem sie Fragen der Mediävistik mit jenen der Byzantinistik verknüpft, möchte die Beschäftigung mit der hier skizzierten Fragestellung einen neuen Blick auf die Beziehungen und die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse in den zwei für die Geschichte des Abendlandes maßgeblichen Herrschaftsräumen bieten. Die Untersuchung verspricht neue Einsichten in Themen wie die Transformation von Identität oder das frühmittelalterliche Weltbild und Selbstverständnis in einer Zeit in der die antike Vergangenheit der einzige historische Referenz- und Identifikationspunkt darstellte.

Publikationen

  • L. Sarti, „Frankish Romanness and Charlemagne’s Empire“, Speculum 91.4 (2016), 1040–1058.
  • L. Sarti, „Totius terrae circulum oceani limbo circumseptum. Das Meer aus der Perspektive gotischer und langobardischer Historiographen“, hrsg. v. G. Huber-Rebenich, C. Rohr und M. Stolz, Water in Medieval Culture. Uses, Perceptions, and Symbolism. Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Beihefte 4 (Berlin/New York: de Gruyter, 2017), 78–89.
  • L. Sarti, „From Romanus to Graecus. The identity and perceptions of the Byzantines in the Frankish West“, Journal of Medieval History 44.2 (2018), 131–150. 
  • Y. Hen, S. Esders, Y. Fox, L. Sarti (Hrsg.), East and West in the Middle Ages. The Merovingian Kingdoms in Mediterranean Perspective, Cambridge: CUP, 2019.
  • L. Sarti, „The Digression on Pope Martin I in the Life of Eligius of Noyon“, in Y. Hen, S. Esders, Y. Fox, L. Sarti (Hrsg.) East and West in the Early Middle Ages, Cambridge: CUP, 2019, 149–164.
  • L. Sarti, „Die Namen zukünftiger Herrscher. Die Vergabepraxis im byzantinischen Osten und dem karolingischen Westen im Vergleich (717–905)“ in M. Becher and H. Hess (Hrsg.), Machterhalt und Herrschaftssicherung. Namen als Legitimationsinstrument in transkultureller Perspektive, Macht und Herrschaft (Göttingen: V&R Unipress, 2019), 151–173.
  • L. Sarti, „Die langsame Scheidung vom Imperium. Wahrnehmung und Bewältigung im Zeugnis gallo-fränkischer Briefe (476 bis 800)“, hrsg. v. M. Becher / H. Hess, Kontingenzerfahrungen und ihre Bewältigung zwischen imperium und regna. Beispiele aus Gallien und angrenzende Gebiete vom 5. bis zum 8. Jahrhundert (Göttingen 2021) 375-404.
  • L. Sarti, „Byzantine history and stories in the Frankish Chronicle of Fredegar (c. 613–660)“, Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 28 (2021) 3-22.
  • L. Sarti, "Histories of a shared past? Tenth-century perceptions of Antiquity", in M. B. Gillis, A. Rathmann-Lutz (Hrsg.), Beyond Time and Space. Studies by and in Memory of Miriam Czock, Renovatio. Studies in the Carolingian World (Trivent: Budapest) [eingereicht].
  • L. Sarti, La « langue des romains ». Le discours sur le grec et le latin dans les sources franco-ottoniennes et byzantines", Actes du congrès Latin et grec au Moyen Age et à la Renaissance (SEMEN-L), S. Laigneau-Fontaine, E. Oudot und P. Jeremie (Hrsg.) [eingereicht].
  • L. Sarti, Orbis Romanus. Byzantium and the Roman legacy in the Carolingian world, Oxford University Press [voraussichtlich Ende 2023].
  • L. Sarti, “Roman culture in the Ottonian world”, Royal Studies Journal, 10.2, 2023 (im Druck).
  • L. Sarti, „Aachen" in Mapping the Reception of Byzantium (MARBY), 2023 eingereicht.
  • L. Sarti, "Das Karolingische Verständnis und Auslegung von Orthodoxie im Rahmen des Ikonoklasmus", in Brigitte Burrichter (Hg.), Normen und Ideale, Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Beiheft, Berlin/New York: De Gruyter [2023 eingereicht]
  • "Romani in den fränkischen leges und die Vereinbarkeit von römischem und gentilem Recht", Christian Scholl (Hg.), Kulturkontakt zur Zeit der Völkerwanderung. Koexistenz, Verflechtung oder „Clash of Cultures", Religion und Politik, Ergon Verlag: Münster [2023 eingereicht].
  • L. Sarti, Orbis Romanus. Byzantium and the Legacy of Rome in the Carolingian world, Oxford University Press [Frühjahr 2024].