Byzanz und der Westen

Politische Interdependenz und kulturelle Missverständnisse

Das Jahrtausend zwischen dem Ende des römischen Kaisertums im Westen und der Eroberung Konstantinopels kennt ganz verschiedene Formen, in denen sich das Nebeneinander der beiden aus dem Römischen Reich hervorgegangenen, in sich wiederum vielfach und auf verschiedene Weise differenzierten kulturellen und politischen Räume mit den Gravitationszentren Konstantinopel und Rom äußern konnte: Neben Phasen der Indifferenz, des ein- oder beidseitigen Desinteresses und der gegenseitigen Unkenntnis gab es Versuche des Zusammenwirkens bis zur dynastisch–familiären Verbindung, aber auch stets abrufbares Misstrauen, Rivalitäten und Konflikte bis hin zur Katastrophe von 1204.

Neben ungeschminkten Machtinteressen einzelner Protagonisten sind gerade für die Konflikte zwischen Ost und West immer wieder grundlegende Missverständnisse verantwortlich gemacht worden: So bei den westlichen Reaktionen auf den ostkirchlichen Bilderstreit, die man nicht nur auf Übersetzungsprobleme, sondern auch auf grundlegende Niveauunterschiede zwischen griechischer und lateinischer Theologie zurückgeführt hat. So bei Titulatur- und Protokollfragen zwischen den in ungebrochener römischer Kontinuität stehenden Kaisern des Ostens und den seit dem Jahr 800 ebenfalls an die römische Tradition anknüpfenden Kaisern des Westens. So bei den Kreuzzügen, die nicht zur Annäherung zwischen westlicher und östlicher Christenheit führten, sondern vielmehr zur weiteren Entfremdung. Und auch bei den insgesamt positiv beurteilten, die kulturelle Entwicklung des Westens vielfach befruchtenden kulturellen Rezeptions- und Aneignungsprozessen wird dem Missverständnis große Wirkung zuerkannt, wobei vom oberflächlichen Prunken mit unverstandenen Elementen der griechischen Schriftkultur über die äußerlich bleibende Nachahmung bis zur funktionellen Umwidmung und Simplifizierung komplexer kultureller Artefakte ganz verschiedene Grade und Wirkungsweisen kulturellen Missverstehens in Anschlag gebracht werden.

Insgesamt dürfte aber schon die Vielfalt der religiös-kirchlichen, politischen und kulturellen Konstellationen, in denen sich Verbindungen und Konflikte zwischen dem Westen und Byzanz realisierten, eine genauere Differenzierung von Bedingungen und Funktionen des Missverständnisses notwendig machen, um die damit explizit oder implizit verbundenen Konzepte im Rahmen kulturwissenschaftlicher Forschung kritisch zu reflektieren. So lässt sich schon im vorwissenschaftlichen Raum eine Typologie des Missverständnisses geben, deren Überführung in ein kulturwissenschaftliches Konzept genauer zu konkretisieren und zu prüfen wäre: Es gibt unreflektierte, aber auch provozierte oder politisch ausgenützte Missverständnisse; vermeintliche Missverständnisse, die reale politische oder kirchenpolitische Interessensgegensätze verdecken; vermeidbare und möglicherweise unvermeidliche Missverständnisse; schließlich Missverständnisse der Forschung, die mitunter vorschnell ein Missverständnis konstatiert, wo Logik und Sinnzusammenhang sich nicht sofort erschließen. Zu unterscheiden wäre nicht zuletzt zwischen produktiven Missverständnissen, die weiterführende Kommunikation oder auch neue kulturelle Sinnstiftungen ermöglichen, und solchen, die Kommunikation behindern oder gar abschneiden, Verständnis unmöglich machen und kulturelle Austauschbeziehungen veröden lassen.

Organisiert von Prof. Dr. F. Carlà, Prof. Dr. L. Körntgen, Prof. Dr. J. Kusber und Prof. Dr. J. Pahlitzsch

Programm

Förderung

Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung, WissenschaftsCampus Mainz, Römisch-Germanisches Zentralmuseum

Termin:
21.11.2013, 11:57 - 23.11.2013
Veranstalter:
RGZM | Römisch-Germanisches Zentralmuseum im Kurfürstlichen Schloss
Veranstaltungsort:
55116 Mainz
Straße:
Ernst-Ludwig-Platz 2