Zwischen staatlicher Fürsorge und privater Vorsorge: Eine interdisziplinäre Studie zur Versorgungssicherung im 6. Jahrhundert anhand des Getreidespeichers von Caričin Grad
Das in Zusammenarbeit des RGZM und des Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU Kiel laufende und durch die Fritz Thyssen Stiftung geförderte Projekt „Zwischen staatlicher Fürsorge und privater Vorsorge – Eine interdisziplinäre Studie zur Versorgungssicherung im 6. Jahrhundert anhand des Getreidespeichers von Caričin Grad“ wendet sich nun vor allem der Frage der Versorgungssicherung in den Krisenzeiten des 6. Jahrhunderts zu. Wie nahezu keine andere Region waren die Gebiete des balkanischen Donauraumes in der Spätantike Auseinandersetzungen mit über den Donaulimes drängenden Bevölkerungsgruppen ausgesetzt. Ab dem 4. und 5. Jahrhundert überschritten mehrfach kriegerische Gruppen wie „Goten“ und „Hunnen“ die Donaugrenze. In dieser Kriegs- und Krisensituation kam einer organisierten Vorratshaltung eine wichtige Bedeutung zu.
Im Fokus der neuen Untersuchungen stehen die Ausgrabungen eines großen Getreidespeichers auf dem Nordplateau der Oberstadt von Caričin Grad. Die Mehrzahl vergleichbarer Speicherbauten auf dem Balkan datiert in das späte 3. und frühe 4. Jahrhundert. Sie wurden vor allem in Städten errichtet und nicht mehr in dem Maße in Villen und Kastellen wie in den Jahrhunderten zuvor. Trotz der regen Bautätigkeiten in den Städten verloren die urbanen Speicherbauten bereits im späten 4. und frühen 5. Jahrhundert ihre Funktion und erst ab dem späten 5. und dem 6. Jahrhundert sind einige wenige Neubauten bekannt. Umfassende Bautätigkeiten wurden zunächst unter Anastasios (reg. 491-518), dann aber vor allem unter Kaiser Justinian I (reg. 527-565) vorgenommen, um die byzantinische Herrschaft auf dem Balkan in ihrer institutionellen und materiellen Infrastruktur wieder herzustellen und zu sichern. In diesem Rahmen wurde auch die neue Stadtgründung Caričin Grad mit einem großen Speicherbau ausgestattet.
Aktuelle Ausgrabungen zeigen bereits, dass er seine Funktion als zentrales städtisch verwaltetes Speichergebäude bald wieder verlor. An seine Stelle treten kleine Häuser, wie sie das gesamte Stadtquartier nördlich der Akropolis kennzeichnen. Offenbar ist davon auszugehen, dass die zentrale, staatlich verwaltete Lagerung aufgegeben wurde und nur noch eine dezentrale Vorratshaltung innerhalb privater Haushalte Bestand hatte. Dies wirft Fragen hinsichtlich der Versorgung durch den Staat im Rahmen der annona militaris auf. Dieses Versorgungssystem des Militärs hatte eine große Bedeutung für die Frontregionen und basierte auf mediterranen Importen und auf lokal produzierten Gütern. Vor diesem Hintergrund ist die frühe Aufgabe des horreum in seiner ursprünglichen Funktion als zentraler Speicher besonders auffällig.
Das neue Projekt arbeitet mit Methoden der archäobotanik und der Geoarchäometrie. Aus den bisherigen Ergebnissen ist noch unklar inwieweit staatliche Fürsorge und private Vorsorge zum tragen kamen und in welchem Verhältnis sie zueinander standen. Da die derzeit vorliegenden Ergebnisse aus den Gebäuden der Ober- und Unterstadt bisher Hinweise auf private, dezentrale Lagerung von Nahrungsmitteln sowie deren Verarbeitung geben, sind aus den kommenden Untersuchungen des horreums weitere Ergebnisse besonders hinsichtlich der staatlichen Versorgungssicherung zu erwarten.
Zu diesem Zweck sollen im Schwerpunkt archäobotanische Untersuchungen pflanzlicher Makroreste aus dem horreum durchgeführt werden, deren Ergebnisse mit den bereits vorliegenden Erkenntnissen zu privaten Vorräten verglichen werden. Durch die ergänzenden Analysen von Lipiden und Elementgehalten in Böden und in Gefäßresten lassen sich zudem auch andere Nahrungsmittel sowie Einträge während einer sekundären Nutzung untersuchen, die keine pflanzlichen Makroreste hinterließen.
Support
Fritz Thyssen Stiftung für WissenschaftsförderungRelated Projects
Team
- Dipl. Prähist. Anna Reuter
Partners
- Archäologisches Institut Belgrad; Dr. Vujadin Ivanisevic
- Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Geographisches Institut; Prof. Dr. Sabine Fiedler, Dr. Jago J. Birk
- École française de Rome (EFR), Rom
- Université de Strasbourg; Dr. Bernard Bavant