Die gelehrte Auseinandersetzung mit den Kreuzzügen anlässlich des Zweiten Hussitenkrieges 1467
Die Proklamation eines Kreuzzuges gegen den utraquistischen König von Böhmen, Georg von Podiebrad, im Jahre 1467 wurde im römisch-deutschen Reich zum Schreibanlass für mehrere gelehrte Auseinandersetzungen mit der Kreuzzugsidee. Die Mehrzahl dieser Texte liegt nicht in einer kritischen Edition vor und hat in der historischen Forschung bisher nur sehr wenig Beachtung gefunden. In meiner Dissertation soll diesem Desiderat abgeholfen werden. Dabei verfolge ich zwei Fragerichtungen: Zum einen möchte ich die Konzeptionalisierung von Personen und Gruppen in den untersuchten Werken erschließen. Zum anderen soll durch einen wissensgeschichtlichen Zugriff die Verwendung, den Umgang und die Reorganisation von überlieferten Wissensbeständen und Autoritäten in den von mir analysierten Texten herausgearbeitet werden.
Mit diesem Ansatz greife ich eine Anregung der aktuellen Forschung zur universitären Gelehrtenkultur des Spätmittelalters auf. In der entsprechenden Literatur ist es als lohnendes künftiges Forschungsziel erkannt worden, herauszuarbeiten, wie tagespolitische und gesellschaftliche Ereignisse sich in der Wissensproduktion niederschlugen. Deshalb sollte gerade bei theologischen Texten künftig stärker deren „interdisziplinärer“ Kontext, also deren Austausch mit Inhalten jenseits des scholastischen Binnendiskurses betont und keine rein an philosophischen Argumenten orientierte Geistesgeschichte geschrieben werden. (Steckel 2018). Gilt dies im besonderen Maße für Textgattungen, die gelehrte Inhalte zu Zwecken der politischen und religiösen Identitätsstiftung adaptierten, so ist es naheliegend, dies für das im Zentrum meiner Dissertation stehende Quellenmaterial zu untersuchen. Die ausgewählten Texte umfassen Genres und entsprechen den diversen Tätigkeitsfeldern ihrer universitär gebildeten theologischen Verfasser.
Untersucht werden kanonistische Gutachten zu den Kreuzzugsablass und die Argumente zur Legitimation von Gewaltanwendung gegen als Häretiker*innen deklarierte Personengruppen betreffenden Fragen, wie sie der Erfurter Kartäuser Johannes Hagen als Auftragsarbeiten verfasste. Außerdem eine kurze Instruktion zur Kreuzzugspredigt des Wiener Dominikaners Leonhard Huntpichler. Von demselben Verfasser stammt mit den Inquisiciones de cruce signatis eine als Vorlesungsskript an der Universität Wien konzipierte Quästionensammlung, die ausgehend von der Kreuzzugsthematik die metaphysische Frage nach der Auserwähltheit der Erlösten erörtert und auf bemerkenswerte Weise abstrakte philosophische Spekulation mit historischen Exempla verbindet. Die komplexeste Quelle in meinem Corpus ist der Tractatus de cruce signatis des Zölestiners Johannes Cotbus von Sommerfeld. Bei diesem wohl im Kloster Oybin entstandenen Werk handelt es sich um eine umfangreiche Gesamtschau über den Heiligen Krieg, seinen Ursprungund seine Legitimation; ein Werk, das sich als eine Art Lehrschrift offenbar an ein städtisches Publikum im Kreuzzug umkämpften Wrocław richtete. Dabei bildete auch die apologetische Zurückweisung von dubia gegen die Gewaltanwendung gegen anderen Christen*innen einen erkennbaren Schwerpunkt der inhaltlichen Auseinandersetzung.
In allen von mir untersuchten Texten wird das mit dem Kreuzzug verbundene Ablasswesen diskutiert. Dieses Thema nahm in der von kirchlichen Reformdebatten bestimmten entstehenden Öffentlichkeit des 15. Jahrhunderts breiten Raum ein. In meiner Arbeit lassen sich hier an der Schnittstelle von Theologie, Rhetorik und Kriegsgeschichte beispielhaft zahlreiche Weiterentwicklungen auch innerhalb des seit dem hohen Mittelalter bestehenden Kreuzzugsdiskurses illustrieren. Im Zuge der intellektuellen Durchdringung der Kreuzzugsthematik wurden gemeinsame überlieferte Werte Normen und Sinnzuschreibungen dabei reflektiert und teils neu konfiguriert.
Aufgrund der Einbettung in die Themenstellung des Graduiertenkollegs 2304 wird es ein wichtiger Schwerpunkt innerhalb meiner Fragestellung sein, die Wahrnehmung und Rolle von Byzanz und Byzantiner*innen bei den von mir behandelten Verfassern zu erforschen. Der Bezug zum Oströmischen Reich und seiner Geschichte war diesen dabei durch die behandelte Thematik selbst zu einem gewissen Grad vorgegeben, da die Geschichte und Ideologie der Kreuzzugsbewegung bereits seit dem späten 11. Jahrhundert eng mit Fragen nach der Bedeutung von Byzanz für die Christenheit und nach dem Verhältnis von Ost- und Westkirche verflochten war. In diesem Sinne muss auch überprüft werden, ob sich zeitgeschichtliche Ereignisse des 15. Jahrhunderts wie die Kirchenunion von Ferrara-Florenz oder die Eroberung Konstantinopels 1453 auf die apologetische Konzeption theologischer Befürworter des Kreuzzuges auswirkten.
Eine erste diesbezügliche Sichtung des Materials hat dies zwar nicht erweisen können, jedoch unerwartete andere Byzanzbezüge in den Quellen feststellen können: So verwendete Leonhard Huntpichler in seinen Texten Lehrbeispiele aus der spätantiken oströmischen Geschichte zur Unterstreichung kreuzestheologischer Gedankengänge. Bei Johannes Cotbus von Sommerfeld finden sich zudem historische Bezüge zu einem im Westen verbreiteten Narrativ, demzufolge der Zweite Kreuzzug durch einen Verrat der griechischen Verbündeten gescheitert sei.